MYTHEN UND LEGENDEN
Der Wolf hat den Menschen so sehr fasziniert, dass man ihn eng an dessen Geschichte
gebunden wiederfindet, namentlich in Legenden. Viele davon sind sich von einer
Zivilisation zur anderen sehr ähnlich. Zum Beispiel ist der Wolf Ursprung von Städten wie
Milet in Kleinasien oder Rom in Italien. In beiden Fällen hat eine Wölfin ausgesetzte
Kinder aufgenommen, die den Ursprung der Stadtgründung wurden. In anderen Fällen,
wie in Griechenland (Delphi, früher Lyconia) und in Ägypten (Lycopolis), ist eine Stadt
dem Wolfsgott geweiht worden. Der Wolf kann auch als direkter Vorfahr der Clans
betrachtet werden, wie dies für die Dynastie der Khan (Gengis Khan) und der T'ou-Kiue,
der ersten Türken, der Fall gewesen ist.
Andere Zivilisationen gaben ein negativeres Bild des Wolfes, wie in Indien, wo der Wolf
die Nacht, oder in Skandinavien, wo er das Ende der Welt darstellte. Paradoxerweise
besass der Wolf in diesen zwei Erdteilen auch ein positives Bild: Er wurde oft mit Mut und
Ehre in Verbindung gebracht.
Indien
Im ersten der 4 heiligen Bücher, fleht Rigveda, der Fromme, die Nacht an, von weit her
den Wolf zu jagen (chasser au loin le loup). Er bittet die Sonne, den Gott Pushan, den
gefährlichen, verräterischen und diebischen Wolf vom Weg des gottesfürchtigen
Menschen abzuhalten. In einer anderen Hymne, wird die in der Schnauze des Wolfes
gefangengehaltene Wachtel, von den Açvins befreit. Dieses Gleichnis symbolisiert die
Befreiung der Morgendämmerung, Gefangene der Nacht. In diesen Fällen symbolisiert
der Wolf die Nacht, die schreckliche Finsternis, das Schlechte, dem Guten, der Helligkeit
des Lichts gegenübergestellt. In der hinduistischen Zivilisation hingegen, kann der Wolf
auch ein Held sein, wie in der Mahabharata, der grossen hinduistischen Heldendichtung.
Vridokara, literarisch "Wolfsbauch", stellt die Ehre, die Tapferkeit und der heldenhafte
Sieg dar. In Indien wurde der Wolf als heiliges Tier betrachtet und man tötete ihn nur aus
Notwendigkeit.
Skandinavien
Odin, der himmlische Vater der skandinavischen Mythologie, war eine seltsame und
würdevolle Figur, immer distanziert. Sogar als er mit den Helden an den Festmalen der
Götter in seinem Goldpalast, dem Gladsheim oder noch im Valhalla (Saal der Toten)
teilnahm, ass er nichts. Er gab die Nahrung, die vor ihm lag, seinen Wölfen Gere und
Freke, die so im Valhalla ihr Mahl mit den Helden teilten. Die Valkyries, die die Toten
aussuchten, waren beauftragt, auf die Schlachtfelder zu gehen und auf Befehl Odins
auszuwählen, wer Sieger werden und wer erliegen sollte und dann die Leichen der
Tapferen Odin im Valhalla zu bringen.
Zwei Raben, die auf Odins Schultern sassen, flogen jeden Tag durch die Welt und
berichteten ihm alles, was die Menschen taten. Der eine nannte sich Gedanke (Hugin)
und der andere Gedächtnis (Munin). Währenddem die Götter schlemmten, dachte Odin
darüber nach, was er von Gedanken und Gedächtnis erfahren hatte. Odin hatte die
Verantwortung darüber, das Ende der Welt, der Tag, an dem die Erde und der Himmel
zerstört werden sollten (Ragnarok), so weit als möglich hinauszuzögern. Odin war der
universale Vater, Höchster unter den Göttern und den Menschen. Er versuchte
permanent, sich mehr Weisheit anzueignen, um sie den Menschen weiterzugeben. Odin,
der weise Gott, war manchmal mit einem Wolfskopf dargestellt.
Im alten Edda (altes Manuskript, das Gedichten ähnlich sieht) konnte der Wolf aber auch
das Ende der Welt oder die Niederlage der Götter darstellen.
Die Sonne wird schwarz und dass die Erde im Meer versinken wird,
Wenn die Sterne vom Himmel fallen werden
Und dass das Feuer bis ins Firmament hochsteigt.
Lokis Sohn (verantwortlich für den Tod des meistgeliebten Gottes Balder), Fenrir, der
zerstörerische Wolf, dessen offene Kiefer Himmel und Erde berührten, bedrohte die Welt
der Götter. Um den äussersten Moment hinauszuzögern, heckten die Götter eine Falle
aus, indem sie ihn herausforderten, einen Ring zu zerbrechen, den keiner der Götter zu
brechen vermocht hatte. Fenrir konnte nicht abschlagen, aber die Gefahr vorausahnend,
sprach eine Bedingung aus: Einer der Götter musste, im Namen aller, seine rechte Hand
in des Wolfes Schnauze legen. Der Kriegsgott Tyr akzeptierte und verlor sein Pfand,
währenddessen die Zwergenschmiede Fenir in Ketten legten. Bei seiner Befreiung wird
die Welt der Götter ihr Ende sehen.
Stärker als alles,
Aber nie würde ich es wagen, seinen Namen auszusprechen.
Und es sind wenige, die darüber hinaus sehen können
Im Moment, wenn Odin untergehen wird.
Edda aber sah einen neuen Himmel und eine neue Erde voraus.
Noch einmal mit einer wunderbaren Schönheit;
werden die Häuser Dächer aus Gold haben;
Ohne dass die Felder ausgesäht sind werden ihre Früchte reifen
Auf ewig in einer perfekten Glückseligkeit.
Das alte Edda datiert ungefähr aus dem Jahre 1300; die Texte aber, aus denen es sich
zusammensetzt, hätten einen noch viel älteren Ursprung. Dieses Manuskript ist 300 Jahre
nach der Ankunft der Christen auf Island redigiert worden. Es ist möglich, dass, trotz des
hohen Alters der Texte, verschiedene vom Christentum beeinflusst worden sind, da einige
Passagen erstaunlicherweise den in der Bibel entwickelten Ideen gleichen, wie etwa das
ewige Leben nach dem Tod Odins und die Gegenwart eines allmächtigen Gottes, dessen
Namen ich nie auszusprechen wagen würde.
Griechenland
Zeus und seine Brüder teilten das Universum unter sich auf. Die Aufteilung wurde
ausgelost. Zeus wurde der höchste Gott, der Herr des Himmels, der Gott des Regens,
derjenige, der die Wolken und den Blitz dirigierte. Der Gott der Götter hatte indessen eine
Schwäche für Frauen und war seiner Frau Hera untreu. So hatte Zeus zwei Kinder von
einer Sterblichen, Leto, die, sobald sie schwanger war, Heras Blitze auf sich zog. Zeus
musste Leto in eine Wölfin verwandeln, damit sie dem Zorn seiner Frau entkommen und
auf der Insel Delos, unwirtlich, aber vor Drohungen geschützt, Zuflucht suchen konnte.
Leto gebar Apollo, Gott der Künste und Artemis, Göttin der Jagd.
Viel später, Apollo hatte die Zyklope getötet, wurde er von seinem Vater ins Exil geschickt
und gezwungen, die Truppen des Königs Admete zu schützen und sie gegen die Wölfe zu
verteidigen. Er brachte den Hirten die Kunst des Vergiftens der Wölfe mit Hilfe der Rinde
eines Baumes bei, den er auf wunderbare Weise wachsen liess. Die Opfer, die ihm
dargebracht wurden, sollten die Wölfe zum Flüchten bringen.
Mit Acacallis, Tochter des Königs Minos, hatte Apollo einen Sohn. Seine Mutter aber
verliess ihn und er wurde von einer Wölfin ernährt, bis er von Hirten aufgenommen wurde.
Dank der ernährenden Wölfin konnte Miletos, Sohn Apollos, die Stadt Milet in Kleinasien
gründen.
In Delphes erzählt Pausanias, dass ein Dieb, der die heilige Stätte von Apollo
ausgeplündert hatte, von einem Wolf getötet wurde. Die Bewohner, aufgeweckt durch das
unaufhörliche Wolfsgeheul, fanden den Tresor, den er bewachte wieder, brachten ihn in
die heilige Stätte zurück und errichteten einen Wolf aus Bronze neben dem grossen Altar.
Apollo benützte den Wolf, um seine Handlungen zu unterzeichnen.
Delphes (früher Lyconia) war übrigens durch Überlebende eines sintflutartigen Regens,
die von Wolfsgeheul geführt wurden, gegründet worden.
Rom
Amulius entthronte seinen Bruder Numitor, Diktator von Albe la Longue. Amulius war
sicher, den Thron behalten zu können, da Rea (Rhéa) Sylvia, die Tochter von Numitor,
Vestalin war, das heisst, der Keuschheit verschrieben. Sie konnte keine Kinder haben, die
eines Tages den Anspruch auf Aumulius' Platz geltend machen könnten. Der Kriegsgott
Mars hingegen liebte Rea (Rhéa) und aus ihrer Verbindung wurden Zwillinge geboren:
Remus und Romulus. Auf Befehl des Tyrannen wurden die Zwillinge in eine Kiste gelegt
und in den Tiber geworfen. Sie wurden von einer Wölfin
gerettet, die sie wie ihre eigenen Jungen säugte. Ein Hirte namens Faustulus, durch einen
Grünspecht geführt, ausgeschickt durch den Gott Mars, entdeckte die Zwillinge in der
Höhle. Er nahm sie auf und vertraute sie Acca Larentia, einer Prostituierten, an. Im
Lateinischen bedeutet das Wort Wolf "Lupa" Wölfin und Prostituierte zugleich! Gross
geworden, ersetzten Remus und Romulus ihren Grossvater Numutor auf dem Thron. Sie
beschlossen, am Ort, wo die Wölfin sie ernährt hatte, eine Stadt zu gründen, aber in der
Folge eines Streites zwischen den beiden, tötete Romulus seinen Bruder. Die Wölfin
wurde zum Wahrzeichen Roms und schmückte seine Münzen und Bauwerke.
Die Legende von Remus und Romulus sollte das Symbol der Einigung zwischen den
Sabins (kriegerisches Volk, das unter dem Zeichen des Wolfs kämpfte und das die Römer
nicht besiegen konnten) und den Römern darstellen. Die Wölfin wurde zum Symbol des
"pax romana". Jedes Jahr wurden in Rom, 14 Tage nach den Kalenden des Mars (15.
Februar), die lupercales gefeiert. Ein Ziegenbock, eine Ziege oder ein Hund wurde zu
Ehren von Lupercus und gleichermassen der ernährenden Wölfin geopfert und sollte der
Stadt Wohlstand und in erster Priorität den Herden und in zweiter den Frauen
Fruchtbarkeit bringen. Der Wolf und der Ziegenbock sind beides Symbole der
Fruchtbarkeit, lupercus, vom Lateinischen lupus und Ircus Ziegenbock-Wolf bedeutend.
Bei den Sabins, hatte der Kult des Wolfes schon lange vor der Einigung mit den Römern
einen wichtigen Patz in der Gesellschaft inne.
Mongolei
Gengis Khan (1162-1227) hatte als Vorfahr den mythischen Bortä-Tchino (oder Bört-a-
Tchino), der blaue Wolf, der den Himmel darstellte. Er war der Bräutigam der falben
Hirschkuh, die die Erde verkörperte und wäre so der Vater der Khan Dynastie.
Türkei
Die Legende erzählt uns, dass das Hiong-nu Volk massakriert, und nur ein einziges Kind
aus Versehen verschont wurde. Das Kind wurde von einer Wölfin aufgenommen, die es
mit ihrer Milch ernährte und es in ihrer Höhle schützte. Die Wölfin wurde dessen Frau und
ihre Nachkommenschaft gebar das Volk T'ou-Kiue (ou Tu-Kiu), die ersten Türken. Der
Herrscher brachte jeder Jahr ein Opfer in der Grotte dar, wo die Wölfin die Vorfahren des
Stammes
Ägypten
Oupouaout war "derjenige, der den Weg öffnet", der Wolfsgott, der Gott der Toten. Er
lenkte die Barke der Sonne auf ihrer gefahrvollen nächtlichen Navigation. Als er von den
Toten angerufen wurde, führte er die Seelen auf einem mit Tücken gespickten Weg, um
den Aufenthaltsort der Glückseligen zu erreichen, den Ort, wo Osiris Pforte und Gebieter
war. Zudem ist ihm eine Stadt gewidmet worden: Lycopolis, wie sie die Griechen genannt
haben. Nach Diodore, griechischer Historiker aus Sizilien zu Augustus' Zeiten, der ihre
Gründung erzählt, habe eine Armee von Wölfen die äthiopischen Eindringlinge in der
Region von Eléphantine angehalten. Lycopolis hält die Erinnerung des Sieges der Wölfe
über die Gegner wach.
Inuits
Am Anfang der Welt gab es nur einen Mann und eine Frau, ohne Tiere. Die Frau bat
Kaïla, Gott des Himmels, die Erde zu bevölkern. Er schickte sie, ein Loch in das Packeis
zu graben, um zu Fischen. So holte sie, eines nach dem anderen, alle Tiere aus dem
Loch. Das Karibu war das Letzte. Kaïla sage ihr, dass das Karibu sein Geschenk sei; das
schönste, das er machen könnte, da es ihr Volk ernährte. Das Karibu vermehrte sich und
die Söhne konnten es jagen, sein Fleisch essen, Kleider und Zelte herstellen. Die Söhne
hingegen wählten immer die schönsten, fettesten Karibus aus. Eines Tages blieben nur
noch die Schwachen und Kranken übrig, die die Inuits nicht wollten. So beschwerte sich
die Frau bei Kaïla. Er schickte sie erneut aufs Packeis und sie fischte den Wolf, von
Amorak, dem Geist des Wolfs, geschickt, damit er die Schwachen und Kranken Karibus
fresse, um das Karibu bei guter Gesundheit zu erhalten.
(Quelle: CD "Der Wolf - Le Loup", www.finajour.ch)
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